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Jugend und Parlament 2019 – Ein Erfahrungsbericht

„Sehr geehrter Herr Schmied, sie sind von nun an für vier Tage gewähltes Mitglied des deutschen Bundestages.“ Mit diesen Worten begann für mich das „Planspiel Jugend und Parlament 2019“. Aber wie ist es eigentlich dazu gekommen, dass ich an einem heißen Sommertag bei 30 Grad im Anzug im Paul-Löbe Haus sitze und mir diese Begrüßung durchlese?

Im Februar wurde mir auf YouTube ein Video vorgeschlagen „Jugend und Parlament: fiktive Gesetzesentwürfe werden beraten“. Ich war sofort begeistert und las mir auf der Website die Teilnahmebedingungen durch. Bedingung war die Empfehlung durch einen von rund 350 echten Bundestagsabgeordneten. Schnell waren alle Bundestagsabgeordneten aus der Region Hannover angeschrieben. Doch genauso schnell, wie die Bewerbungen abgeschickt waren, bekam ich insgesamt neun Absagen zurück. Frustriert schaute ich auf mein Handy, um auch die letzte Absage hinzunehmen, als ich sehe: „…Frau Dr. Flachsbarth selbst hat zwar keinen Platz, erfreulicherweise konnten wir Sie aber über Frau Dr. von der Leyen vorschlagen.“ Glücklich und hochmotiviert trat ich also am 1. Juni meine Reise in die Bundeshauptstadt an. Bereits im Zug begegneten mir zwei andere Teilnehmende, mit denen zusammen wir erstmal zum Hotel gingen. Nach dem Check-In war aber noch genug Zeit, um Berlin ein wenig zu erkunden. Während unseres Rundgangs stellte sich raus, dass meine Begleiter AfD- und FDP- Parteimitglieder waren, also politisch von mir als SPD-Mitglied meilenweit entfernt waren. Und so spazierten wir 3 Stunden durch Berlin und diskutierten kontrovers die großen Themen unserer Zeit. Es scheint banal und doch haben mir diese drei Stunden gezeigt, wie wichtig Respekt und Toleranz anderer Meinungen ist. Natürlich liegen wir bei vielen Themen sehr weit auseinander, aber das heißt nicht, dass man nicht respektvoll darüber diskutieren kann.

Nun aber wieder zurück zum Planspiel. Jeder Teilnehmende hatte sich zuvor einen Spielnamen gegeben und wurde nun einer fiktiven Fraktion und einem Ausschuss zugeteilt. Außerdem bekamen wir neue Lebensläufe, was für mich bedeutete: Ich bin Dirk Schmied, 65 Jahre alt, habe das Direktmandat im Wahlkreis Mainz gewonnen und bin als Jurist seit 17 Jahren Mitglied der konservativen „BewahrungsPartei“. Die BP war die größte Fraktion im Bundestag(43%), befand sich allerdings in der Opposition. Der Tag ging vorbei mit einer Führung durch den Reichstag und einem ersten Meeting zum Kennenlernen meiner Landesgruppe BP Süd-West. Am nächsten Tag ging es dann richtig los: Am Morgen mussten wir aus unserer Landesgruppe (26 Mitglieder) einen Kandidaten für den Fraktionsvorsitz aufstellen. Neun Kandidaten stellten sich vor und mussten sich den kritischen Fragen der Fraktion stellen. Nach 90 Minuten hatten wir im 3. Wahlgang Dr. Stephan Freyengrätz nominiert. Jetzt folgte der spannendste Teil des Tages: die Fraktionssitzung. Im echten Fraktionssaal der CDU-Bundestagfraktion kamen 150 BP-Mitglieder zusammen, um einen Fraktionsvorsitzenden zu wählen und die Fraktionsstrategie abzustimmen. Es kam zu heftigen Flügelkämpfen und Uneinigkeiten über den Kurs bei verschiedenen Themen, die nicht nur in Wortgefechten endeten. Die Landesgruppe Bayern beantragte sogar die Neuwahl des Vorstands, da dieser sich nach ihrer Auffassung nicht an die Geschäftsordnung halte. So kam es, dass erst nach mehreren Änderungsanträgen und drei Stunden Debatte die Fraktionssitzung ein Ende nahm. Nach dem Mittagessen folgten dann die Arbeitsgruppensitzungen. Ich war im Justizausschuss, der sich mit dem Antrag der regierenden Fraktionen GP und PEV, das Wahlalter auf 16 herabzusetzen, befasste. Wir sammelten Argumente für unsere Position, was sich am nächsten Tag als sehr hilfreich herausstellte.

Nach dem Abendessen diskutierte ich auf dem Weg nach draußen mit zwei Kolleginnen. Wir gingen durch eine Drehtür, um den Bundestag zu verlassen, als die Drehtür mich plötzlich von hinten berührte und direkt zersprang. Die 3 Meter große Glasscheibe hagelt auf mich herunter und ich brauche ein paar Sekunden, um zu begreifen, was gerade passiert ist. „Blute ich?“ frage ich dann, da ich etwas warmes mein Ohr nach unten und auf mein Hemd tropfen fühle „Setz dich sofort hin!“ sagt meine Kollegin. Ich hatte Glück und bloß eine große Schnittwunde hinterm Ohr, was ich vor allem meinem Anzug verdanken kann, der das Meiste abgefangen hat, dafür danach aber genauso wie mein blutdurchtränktes Hemd wegwerfbar war. Diese Geschichte werde ich sicherlich nicht so schnell vergessen!

Der Mittwoch begann mit den Ausschusssitzungen. Hier lieferten wir uns einen spannenden Schlagabtausch mit der Regierung, die zeitweise ein wenig hilflos wirkte. Nach der Hälfte der Zeit machten wir einen Kompromissvorschlag, der aber von der Regierung abgelehnt wurde. Die Sitzung ging zu Ende mit einer 20-minütigen Debatte, ob unser Vorschlag verfassungswidrig sei, was bewies, dass die Regierung zu faul war das Vorbereitungsmaterial durchzulesen, In dem stand, dass unser Vorschlag nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts nicht verfassungswidrig ist. Weiter ging es mit einem Besuch bei den Abgeordneten, die uns empfohlen hatten. Ich hatte ein sehr schönes und aufschlussreiches Gespräch mit Frau Dr. Flachsbarth mit der ich unter anderem über ihre Arbeit im Bundestag und meine Zukunftspläne redete. Danach kam es wieder zur Fraktionssitzung, in der Ich mir einen Platz als Redner in der kommenden Debatte sichern konnte.

Am Donnerstag kam also der große Tag: die Plenardebatte im Bundestag. Dann war ich dran. Nervös gehe ich zum Rednerpult, denn meine Rede ist sehr offensiv gegen die Regierung. Ich stehe am Pult und 350 Jugendliche und die Zuschauer von Phoenix (die Debatte wurde live übertragen) gucken auf mich. Ich atme ein und zähle bis 3 und plötzlich ist die Anspannung weg „Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren. Der vorliegende Gesetzesentwurf der Regierung zeigt nur eins: Die Sturheit und Kritikunfähigkeit in diesen Reihen [die Regierung]…“. Unter lauten Zwischenrufen und Schreien der Regierung und tosendem Applaus meiner Fraktion bleibe ich ruhig und halte meine Rede. Das Gefühl, am Rednerpult des Bundestags zu stehen, ist kaum in Worte zu fassen.

Wer denkt, dass dies das Ende war, der liegt falsch: Während der Abschlussrede von Dr. Schäuble standen plötzlich ungefähr 30 Teilnehmende auf und hielten eine Schweigeminute „normalerweise nehmen wir bei Sitzungen des Bundestags die Plätz ein“ entgegnete Herr Schäuble. Darauf stürmen die Teilnehmenden nach vorn und halten ein Plakat „eure Klimapolitik = Katastrophe“ hoch. Danach performten sie ein sogenanntes „Die-In“. Meiner Meinung nach war es falsch, ein Planspiel zu missbrauchen, um im Bundestag zu protestieren, selbst wenn ihr Anliegen richtig und wichtig ist.

Alles in Allem kann ich jedem politikinteressierten Jugendlichen, der kein Problem mit weniger als sechs  Stunden Schlaf pro Tag hat, eine Teilnahme sehr empfehlen. Für mich hat die Teilnahme viele Eindrücke vom realen Alltag eines Abgeordneten gegeben und mich in meinen Zukunftsplänen bestätigt. (Thore Meiwes)

Diese Veranstaltung fand bereits vom 1.6. bis zum 4.6. 19 statt.

Diese Aktion findet jährlich statt, weshalb auch andere SchülerInnen über die Möglichkeit einer Teilnahme an dieser interessanten Veranstaltung nachdenken sollten!